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Interview mit Esther Beutz, geführt von Carolin Rosenheimer für den Jahreskatalog des Kunstvereins Hildesheim



Können Sie kurz Ihren Ansatz zum Projekt Stadt. Fotografin. Hildesheim. skizzieren?


Ich möchte meinen Schwerpunkt bei Stadt. Fotografin. Hildesheim. auf die Kunst setzen. Die bildjournalistische Perspektive, die ich ja auch habe, wird dabei eher in den Hintergrund treten. Für meine Herangehensweise ist wichtig, dass ich Hildesheim nicht kenne. Bei Stadtkunstprojekten geht es ja eigentlich um eine Außenperspektive auf die Stadt. Mich interessieren auch die Hildesheimer mit ihrem Blick von innen. Den ich natürlich wieder nur von außen wahrnehmen kann ­ es bleibt beim Versuch der Annäherung. Eine Idee wäre zum Beispiel, zu schauen, wie die Hildesheimer ihre Stadt sehen. Mich interessieren ihre Lieblingsorte. Das, was sie mir erzählen und zeigen zu einem Ort, was sie im Kopf haben und was sie für ein Gefühl dazu haben, würde ich dann fotografisch in Bilder umsetzen und die Hildesheimer Perspektiven mit meinen eigenen verknüpfen.

Wie sollen die Hildesheimer von Ihrem Vorhaben erfahren?


Es gibt bereits die Website www.stadtfotografin.de, auf der steht, dass ich Hildesheimer suche. Diese Seite werde ich auch nutzen, um das Projekt zu erweitern und seinen Prozess zu dokumentieren. So wird sie zu einem lebendigen Teil meiner Auseinandersetzung. Ich habe außerdem vor, einen Aufruf in den Hildesheimer Zeitungen zu starten. Mit interessierten Bürgern würde ich mich dann treffen und mir ihren Lieblingsort zeigen und ausführlich erklären lassen. Weil ich eben den Ort auf ganz persönliche Art und Weise festhalten will.

Das Lieblingsort-Konzept ist ja eigentlich ein sehr wohlwollender Ansatz. Ich kann mir zumindest vorstellen, dass bestimmte Orte einer Stadt wahrscheinlich nicht unter der Rubrik ’Lieblingsplatz¹ auftauchen...


Das kann gut sein. Ich würde mich natürlich auch freuen, wenn irgendwer einen ollen Hinterhof nennt. Die schöne Fassade, wie am Marktplatz, ist ja nur ein kleiner Teil von Hildesheim. Sie entspricht eher den Hildesheimer Klischees. In diesem Zusammenhang würde ich mich auch gerne mit Stadtmarketing auseinandersetzen. Es gibt schier unglaubliche Merchandising-Artikel: Krawattennadeln, Uhren, Schneekugeln und so weiter. In der Kombination von kitschigen Artikeln und meinen Fotos könnte man mit dieser Zwangsläufigkeit spielen, dass Hildesheim immer nur hübsch und alt und Fachwerk ist. Das finde ich ganz spannend. Wenn man dann die anderen Seiten von Hildesheim zeigt und das Ganze nicht zu ernst nimmt, ist das eine Möglichkeit, Klischees zu brechen.

Verstehe ich richtig, dass Sie noch an verschiedenen Ideen für Hildesheim arbeiten?

Ja, und das Ganze ist letztendlich auch eine Frage der Finanzierung. Die große Variante wäre, sich mit den wechselseitigen Klischees europäischer Partnerstädte auseinander zu setzen. Ich würde die Hildesheimer fragen, was sie für Vorstellungen von ihrer Partnerstadt in Italien haben, nach Italien fahren und diese Bilder dort in einer künstlerischen Arbeit umsetzen. Dann würde ich die Italiener zu ihrer Partnerstadt in Frankreich befragen, dorthin fahren, und so weiter durch fünf oder sieben Städte. Die vorletzte Stadt wäre wieder eine Partnerstadt von Hildesheim, und so schließt sich dann der Kreis.

Die Lieblingsorte, die Merchandising-Artikel und die Partnerstadt-Klischees ­ sind diese Konzepte Alternativvorschläge?


Ich könnte mir auch gut vorstellen, die verschiedenen Projekte parallel zu realisieren und in der Galerie im Kehrwiederturm auf dessen verschiedenen Ebenen zu zeigen. Das hätte dann eine dramaturgische Steigerung. Darüber hinaus stehe ich ja noch am Beginn des Projektes. Im Prozess meiner Auseinandersetzung mit Hildesheim kann sich noch vieles verschieben und ergeben.

Sie haben gerade schon das Stadtmarketing erwähnt. Was könnte eine Stadt durch so einen anderen, kritischen Blick auf sich selbst gewinnen?


Sie wird dadurch ehrlicher und ernstzunehmender. So einen Hochglanz-Prospekt, den hat doch jede Stadt ­ die ’schönen Bilder¹ sind aber auch oft austauschbar und einfach schlecht gemacht. Das würde ich persönlich einer Stadt gar nicht mehr abnehmen. Ich fände es eher interessant, wenn sich eine Stadt auch mit ihren Schattenseiten auseinandersetzt. Das tut das Stadtmarketing zwar sicherlich, aber kaum in der Öffentlichkeit. Darunter leidet die Glaubwürdigkeit.

Angenommen, das Stadtmarketing würde Sie bitten, eines Ihrer Fotos für Werbezwecke benutzen zu dürfen?


Ich fände es sehr spannend, wenn sich die Stadt darauf einlassen würde. Dann käme es darauf an, wie mutig Hildesheim ist, ob es also bei meinem Konzept bliebe. Vielleicht könnte man so auf einer Ebene jenseits der bekannten Klischees Interesse an der Stadt wecken. Es gibt ja durchaus auch kritische Menschen, die nicht nur Fassade sehen wollen. Und Stadtkünstler werden bei weitem nicht nur in Vorzeige-Städte geschickt.

Können Sie Ihre Laufbahn als Fotografin kurz anhand dreier Stationen darstellen?

Hagazussa, meine Diplomarbeit über Neue Hexen, war noch eher dokumentarisch. Ich habe Menschen fotografiert, die sich als Hexen bezeichnen und sie im Zusammenhang ihrer Rituale und Kraftorte gezeigt. Das war noch sehr klar und hatte journalistische Elemente. Von diesem Punkt aus habe ich mich dann weiterentwickelt. 2001 erarbeitete ich zusammen mit einer Schriftkünstlerin das Projekt endlos. In sechs Wandobjekten und einem Buch ging es um die Auseinandersetzung mit Tod und Wiedergeburt. Umgesetzt haben wir die Arbeit in der Verbindung von Schrift und Fotografie. Die beiden Komponenten konnte man wie Positiv und Negativ aufeinanderlegen und so jeweils andere Perspektiven auf die verschiedenen Ebenen entwickeln. Danach kam Aus Natur und Geisteswelt, eine Auseinandersetzung mit dem Mythos des Vogels Phönix, für eine Ausstellung in den ehemaligen Phoenix-Werken in Dortmund. Ich habe fiktive Buchseiten gestaltet und so getan, als hätte ich sie auf dem Werksgelände gefunden. Die Bildtafeln sind mit einer alten Kamera gemacht, sie sind unscharf und verwackelt. So ist eine fingierte Dokumentation darüber entstanden, wie der Vogel Phönix alle paar Jahrhunderte an diesen Ort zurückkehrt ­ der Themenkreis um Erneuerung und Wiedergeburt korrespondierte dabei mit Geschichte und geplanter Zukunft der Industriebrache.

Welche Rolle wird die Schnittstelle zwischen Bildjournalismus und künstlerischer Fotografie in ihren weiteren Arbeiten spielen?

Für mich haben beide Bereiche ihren eigenen Reiz. Aber gerade in einer Verbindung, auf dieser Schnittstelle also, können sich Synergien entwickeln. Ich mag es, die jeweiligen Strukturen konzeptionell aufzubrechen. Leider ist es kommerziell gesehen einfacher, wenn man eindeutiger der einen oder anderen Seite zuzuordnen ist. Mir gefällt aber die Kombination aus Kunst und Journalismus. Sie entspricht eher meiner Denk- und Arbeitsweise und ist für mich der eindeutig spannendere Weg. Wobei Stadt. Fotografin. Hildesheim. eben einen künstlerischen Schwerpunkt haben wird.

Esther Beutz, wo ist die Kunst?


Erst mal in mir. Und dann hoffentlich in der Ausstellung zu entdecken.



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